Politik darf nicht zur Castingshow werden.
- Sandra Schrade
- 24. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Kürzlich erschien ein Interview mit mir in der WP zum Thema Influencertum im Wahlkampf. Hier folgt das Interview.
„Politik darf nicht zur Casting-Show werden"
Arnsberg/Sundern. Die Hachenerin Sandra Schrade ist Selbstständige im Bereich des strategischen Marketings. Die Kommunikationspsychologin arbeitet für heimische Unternehmen und begleitete zuletzt im Wahlkampf die CDU Arnsberg sowie die Bürgermeister-Kandidaten Peter Blume (Arnsberg) und Jacqueline Bila (Sundern) - mit unterschiedlichem Erfolg.
Die 1988 auf Sylt geborene Mutter von drei Kindern ist kein Parteimitglied der CDU.
„Politisch positioniere ich mich nur klar gegen Rechts", sagt sie über sich selbst.

Sie haben als Agentur den Wahlkampf der CDU in Arnsberg und Sundern begleitet.
Wie haben Sie die Wahl und das Interesse daran wahrgenommen?
Es war erschreckend, wie wenig Wissen über kommunale Strukturen vorhanden ist. Kaum jemand kennt Aufgaben von Rat, Kreistag oder Bürgermeister. Entsprechend gering war das Interesse. Inhalte traten in den Hintergrund, Inszenierung gewann. Gefragt war oft nicht die beste Idee, sondern wer sich als Influencer am besten verkauft. Dort, wo Kandidaten sichtbar, greifbar und präsent waren, konnte man dennoch echtes Interesse wecken - und berühren.
Gefühlt waren die Menschen bis wenige Wochen vor der Wahl noch nicht sonderlich in Wahllaune. Wie können Parteien dann dennoch Menschen erreichen?
Indem sie rausgehen und reden – ehrlich, auf Augenhöhe, ohne Politiksprech. Likes im Netz ersetzen kein Gespräch. In einer 15-Sekunden-Aufmerksamkeits-Welt wollen Menschen verstanden und gesehen werden. Es braucht klare Botschaften, einfache Sprache und persönliche Begegnungen. Nahbarkeit überzeugt mehr denn je. Soziale Medien spielen in der Politik eine immer wichtigere Rolle.
Die AfD treibt die „Etablierten“ vor sich her. Ist Social Media auch bei Kommunalwahlen der entscheidende Hebel?
Ja, aber mit Risiko. Social Media belohnt Empörung, Schlagworte und Inszenierung – Können tritt in den Hintergrund, Influencertum siegt. Winke-August statt Fachlichkeit, und scheinbar vom Wähler auch noch gewollt. Demokratie
lebt aber nicht von Likes, sondern von Diskussion und Kompromissen. Das passt nicht in 15 Sekunden. Wer Substanz zeigt, wirkt neben Popstars blass, wer nur Popstar ist, gefährdet Demokratie. Und nur, weil jemand kein guter Influencer ist, so kann er dennoch hervorragender Politiker sein.
Sie haben die CDU sowohl in Arnsberg als auch in Sundern begleitet: in Sundern war die CDU Wahlsieger und stellt die Bürgermeisterin, in Arnsberg lief es weniger gut für die CDU.
Wo lag der Unterschied aus Ihrer Sicht?
In Arnsberg trat ein Amtsinhaber an, statistisch mit über 70 % Wiederwahlchance. Dass Peter Blume trotzdem fast 30 % holte, werte ich als Erfolg. Dazu wurden 6/7 CDU- Kandidaten in den Kreistag gewählt, der Landrat kommt von der CDU, 16/23 CDU-Kandidaten wurden in den Stadtrat gewählt - trotz immer lauter werdenden AfD-Stimmenanteilen.
In Sundern war die Lage anders: Jacqueline Bila trat ohne Amtsinhaber-Gegenkandidaten an. Mit Expertise und Einsatz - auch in Social Media - konnte sie zeigen, dass sie die beste Wahl für Sundern ist, auch als Frau. Was lächerlich klingt ist in konservativen Wahlbezirken immer noch ein echtes Thema. Jacqueline ist die erste Bürgermeisterin im HSK - ein Meilenstein.
Wie bewerten Sie den Wahlkampf der SPD in Arnsberg?
Ist da vieles richtig gemacht worden?
Ja. Die SPD hat ihre Hausaufgaben gemacht. Ralf Paul Bittner war präsent wie ein Influencer – Jeans, Hoodie, nah am Bürger. Bekannte Gesichter in wichtigen Bezirken, hohe Sichtbarkeit in allen Medien. Fakten traten in den Hintergrund, 15-Sekunden-Sequenzen reichten. Der Amtsinhaber hatte neben seinem Amtsbonus eine gute Reichweite und Sympathie, das ist heutzutage schon ein Brett.
Sie beklagen, dass Kommunalpolitik auf Social Media auf zu wenige Botschaften reduziert wird. Sind Sie als Agentur, die einen Wahlkampf einer Partei unterstützt, nicht Teil des Problems?
Das Risiko besteht. Das Bild vom Essen ist heute wichtiger als der Geschmack, das perfekte Urlaubsfoto ersetzt echte Erholung. Politik folgt derselben Logik: Trump wurde Marke durch Reichweite, die AfD durch Empörungsvideos. Auch lokal gewinnen immer öfter Influencer. Meine Aufgabe sehe ich darin, Inhalte sichtbar zu machen und sie nicht durch Ästhetik zu ersetzen. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht tiefgründig zu sein, in einer Welt die immer oberflächlicher wird. Ich berate zu authentischem Auftritt, nicht aufgesetztem Influencertum.
Was unterscheidet Marketing für Unternehmen von dem für Parteien bzw.
welchen Unterschied muss es aus Ihrer Sicht geben?
Unternehmen verkaufen Produkte, Parteien Vertrauen. Im Marketing reichen oft Nutzen und Preis, in der Politik braucht es Glaubwürdigkeit, Emotionen und Nähe. Wer Politik macht, muss Sorgen verstehen, ernst nehmen und Haltung zeigen. Markenführung ist hilfreich, aber Politik erfordert mehr: menschliche Substanz und Verantwortung nach Innen - und leider auch die Darstellung nach Außen.
Wie stellen Sie sich einen perfekten Wahlkampf vor, der der Wichtigkeit von Kommunalpolitik gerecht wird?
Politische Bildung, Medienkompetenz und echte Gespräche sind zentral. Familie, Schulen und Vereine sind die Orte, an denen Demokratie wächst – nicht nur Social Media. Politik darf nicht zur Casting-Show werden. Wir brauchen wieder Wertschätzung für Inhalte und das Ehrenamt in Politik, auch wenn sie komplex sind und nicht in drei Sekunden passen. Wir müssen dankbar sein, über jeden, der sich für unsere Heimat zur Wahl stellt, sich angreifbar macht und sich dennoch genau dort einsetzt. Niemand will Elternsprecher in der Schule sein, aber alle meckern. So ist es auch in Kommunalpolitik. Man sollte sich fragen: „Würde ich diesen Job gern neben meinem Alltag machen wollen?“ Und wenn die Antwort „Nein“ ist, wünsche ich mir Dankbarkeit und Interesse für all die, die sich zu „Ja“ bekannt haben.
Könnte man damit Erfolg haben?
Ja, aber nicht sofort. Selfies bringen schnelle Likes, Inhalte schaffen langfristiges Vertrauen. Probleme lösen wir nicht mit Herz-Emojis, sondern mit Einsatz und unternehmerischem Handeln. Social-Media-Profile kann man löschen – Heimat nicht. Städte bleiben, und sie verdienen mehr als 15-Sekunden-Aufmerksamkeit. Mit Wertschätzung für Ehrenamt, Einsatz und Wissen ist nachhaltiger Erfolg möglich.
Und da müssen wir alle ran und Verantwortung übernehmen.



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